Beowülf – Westminster And 5th

„Beowulf (altengl. für „Bienen-Wolf“, Kenning für „Bär“) ist ein episches Heldengedicht in angelsächsischen Stabreimen. Mit seinen 3182 Versen stellt es das bedeutendste erhaltene Einzelwerk angelsächsischer Sprache dar; gleichzeitig macht es 10 Prozent des gesamten Textguts der Sprache aus. Wie im Mittelalter üblich, ist für das Epos kein zeitgenössischer Titel überliefert; seit dem 19. Jahrhundert ist der Name des Helden, Beowulf, gleichzeitig als Name des Gedichts in Gebrauch. Das nach heutigen Maßstäben fiktionale Gedicht ist in ein historisches Umfeld im Dänemark und Schweden des 5. und 6. Jahrhunderts eingebettet, spielt also selbst nicht in England .Nach England gelangte der Sagenstoff vermutlich zusammen mit den Angeln, den Auswanderern vom Kontinent, die seit dem 5. Jahrhundert England besiedelten.“
Soviel zur Wikipedia-Recherche und unserer aller Bildung. Von einer Band, die den Namen dieser Sagen-Gestalt trägt, erwartet man eigentlich, dass sie so richtig schönen kitschigen Rollenspieler-Metal macht und uns im Geiste Tolkiens Märchen von Feen, Trollen, Orks, Drachen und mutigen Helden auftischt. Hm, ein Blick auf das Cover. Skepsis macht sich breit. Sieht gar nicht nach einem Mitstreiter von Blind Guardian aus. Beipackzettel lesen! Kult-Kapelle? Venice-Tradition?? What the fuck…??? Habe ich da vor Jahren was verpasst????
Also, Venice liegt in Kalifornien. Das ruft Assoziationen hervor wie Strand, Surfen, Skaten, Punkrock!!! Und das ist dann auch die musikalische Schublade, in die man BEOWÜLF grob einordnen könnte. Jedoch bewegen sich BEOWÜLF, angeführt vom Bandgründer und letztem Mitglied der Originalbesetzung Dale Henderson, abseits dessen, was in den 90er Jahren die mittlerweile abwertende Bezeichnung Melodycore aufgestempelt bekommen hat. BEOWÜLF haben ihre Wurzeln im Hardcore/Punkrock der 80er und mixen auf „Westminster & 5th“ ihren ganz eigenen Cocktail, der in seiner Zusammensetzung stark an Dead Kennedys, Suicidal Tendencies und uralte Bad Religion erinnert.
Zeitblende. Drei Wochen zurück. Erste Höreindrücke. Ungewöhnlich und interessant. Ja, dazu schreibe ich was. Ist cool. Zwei Stunden später: Was habe ich mir da angetan? Die CD verlässt nach zwei Songs mein Autoradio. Grauenvoll!
Nächster Tag, nächster Versuch. Mann ey, BEOWÜLF haben echt Drive. Das geht gut nach vorne und hat nichts mit den üblichen 08/15-Punkbands zu tun. Super! Nach vier Songs bekomme ich Kopfschmerzen. Mann ey, diese Band nervt. BEOWÜLF finden ihren Platz auf dem Review-Stapel ganz, ganz unten. Eine verheerende Kritik wird folgen!
Drei Tage später, längere Autofahrt über südniedersächsische Dörfer und Felder bei ausnahmsweise gutem Wetter. Punkrock macht echt Laune. BEOWÜLF haben in ihre energiegeladenen Stücke voll die coolen Melodien eingebaut. Da summt man mit und trommelt mit den Fingern aufs Lenkrad. Ich mag die! Werde was Schönes schreiben!
Fünf Minuten später. Regenschauer. Mann ey, dieser LKW nervt und Venice-Style geht voll auf die Eier. Habe ich den Song nicht schon einmal gehört? Nur in einer anderen Variation, wenn man sie denn so nennen will? Das ist mir jetzt viel zu hektisch und disharmonisch! Die Gitarreneinstellung klingt nach 50 Watt Transistor und Proberaum im Keller. Merken die das nicht? Die CD fliegt auf den Beifahrersitz, ohne dass ich sie in ihre Hülle packe. Normalerweise ein Sakrileg, weswegen ich meinem Bruder (fast) keine CDs mehr ausleihe.
Eine Woche danach. Es ist mitten in der Nacht. Ich zocke ein uraltes Strategie-Spiel von 1994, das ich mir aus dem Netz von einer Fanpage besorgt habe. Nach vier Stunden neigt sich das Level seiner entscheidenden Wendung zu. Meine Flugzeuge bombardieren französische Artillerie-Stellungen vor Verdun 1916 und meine Bodentruppen haben endlich die feindlichen Linien durchbrochen. Vorbei ist der Stellungskrieg. Als ehemaliger Zivi und mental gefestigter Mensch darf man ja auch mal ein bisschen Krieg spielen. BEOWÜLF liefern in der fünften Wiederholungsschleife den Soundtrack für mein glorreiches Vernichtungswerk und peitschen mich und meine Truppen mit ihren Groove-Attacken im Takt des kanonalen Sperrfeuers vorwärts zum Sieg. Altes Spiel und ältere Band passen zusammen wie Franz Ferdinand (nicht die Band!) und die Schüsse von Sarajewo.
Es ist kurz vor vier. Der Rechner wird heruntergefahren. Allein das destruktive Getöse von BEOWÜLF hallt noch leise durch meine Wohnung, das in krassem Gegensatz zu meinen friedlich schlafenden Mitmenschen steht. Ein dissonantes Riff zwingt mich zum Ziehen des Steckers. Was für eine Zeitverschwendung. Ich wollte doch eigentlich etwas Sinnvolles machen. Am nächsten Morgen……
„Westminster & 5th“ ist das Album, welches ich in den letzten Wochen am meisten gehört habe. Fragt mich aber bitte nicht, wie ich es finde.

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