Lagwagon – I Think My Older Brother Used To Listen To…

Boah, ey! Die BEATSTEAKS sind ja so geil! – Stimmt! Die habe ich übrigens 1997 das erste Mal im Vorprogramm von LAGWAGON gesehen. – Von wem? Die kenne ich nicht! – Na, LAGWAGON! Eine der coolsten Punkbands aus Kalifornien! – Hmmm. Ich glaube, mein großer Bruder hat ein paar Scheiben von denen!

Ohne Scheiß. Diese Unterhaltung zwischen mir und einem durchaus jüngeren Fan recht guter Musik hat so stattgefunden. Schwöre! Insofern passt der Titel der neuen EP „I think my older brother used to listen to LAGWAGON“ perfekt. Dass die Kapelle um Joey Cape, die 1992 als erste Band für Fat Wreck gesigned wurde, schon einige Jahre auf dem Buckel hat, ist den Jungs Mitte 30 zwar bewusst, jedoch kümmert es sie nicht. Wie der Titel der aktuellen EP auf ironische Weise zeigt, haben sich die Zeiten verändert, unlängst ist der California-Punk nicht mehr das hippe Ding der Stunde und viele Fans und Konzertbesucher, soweit ich das beurteilen kann, sind mit LAGWAGON mitgewachsen. Dennoch hält es die Band nicht davon ab, wunderbare Musik zu machen und weiterhin Konzertsäle zu verzaubern. Wer die Band schon einmal live gesehen hat, weiß, wovon ich rede.

Mit „Duh“, „Trashed“ und „Hoss“ hatten LAGWAGON Anfang der Neunziger eine Trilogie hingelegt, die für viele Skater, Punks und Hardcore-Kids ein bewundernswertes Vorbild darstellte, musikalisch wie lyrisch. Seit jeher verstanden es LAGWAGON, unterschiedliche Themenbereiche zu verschränken. Neben ihren spaßigen Liebesbekundungen zum Kaffee („Mr. Coffee“) zeigten sie jedoch auch selbstbewusst der Szene ihre Zähne („Know it all“) oder dem Verblödungsinstrument Fernsehen („Tragic Vision“) ihren Mittelfinger. Hauptbereich jedoch waren immer kleine persönliche Geschichten, die die alltäglichen menschlichen Schwächen und die Kämpfe mit ihnen aufzeigten. Einen traurigen Höhepunkt stellt das letzte Album „Resolve“ von 2005 dar, das sich mit dem Suizid des ehemaligen Schlagzeugers Derrick Plourde auseinandersetzte.

„I think my brother…“ ist ein Zeichen für modernen, melodischen Punk, ein Beispiel für alternative Rockmusik, die frei von opportunistischen Modetendenzen ist. Denn trotz der bisher angehäuften Lorbeerkränzen sollte man bedenken, dass LAGWAGON nie wirklich leicht verdaulich gewesen sind; jedenfalls für Punkrock-Verhältnisse. Die Melancholie in Joey Capes leicht kratziger Stimme, die Melodieführung, die rhythmischen Breaks der Gitarren, der Wechsel von ruhigen und lauten Songanteilen: all das ist kein Sunny-California-Style. Und kommt dann das Gefühl der Fröhlichkeit auf, dauert es nicht lange, bis dieses wieder zerstört wird. Das neue Output führt diese Tradition fort, besonders Songs wie „No Little Pill“ oder „Memories And Landmines“.

Zum Schluss bleiben zwei Kritikpunkte. Die Songs befinden sich zwar auf einem angenehm hohen Qualitätsstand, sind jedoch eher auf Midtempo gehalten; ein zweites „Island Of Shame“ oder „Violins“ vermisst man einmal mehr. Und man hätte sich doch nach drei Jahren ein vollständiges Release gewünscht.

Der Fan aus alten Tagen allerdings kann dieses Teil getrost seiner Sammlung einverleiben, obwohl er im Zweifel doch aus Jugenderinnerungen nach „Trashed“ oder „Hoss“ greifen wird, wenn er wieder Lust auf LAGWAGON hat. Dies sei auch interessierten Neueinsteigern empfohlen. Wer gerade die melancholischen bis ruhigeren Passagen schätzt, sollte, insofern ihn das noch nicht bekannt ist, die drei BAD ASTRONAUT-Alben hören…ein Seitenprojekt, dass Sänger Joey mit dem oben erwähnten Derrick betrieben hat. Und wer mehr Spaß will, hört sich ME FIRST AND THE GIMME GIMMES an; die Punk-Allstar-Coverband bestehend aus Fat Mike (NOFX), Jake Jackson a.k.a. Chris Shifflet (FOO FIGHTERS, früher NO USE FOR A NAME), Spike (SWINGING UTTERS) sowie Joe Cape und Dave Raun von LAGWAGON.

Ich für meinen Teil bin zufrieden, ziehe mir jetzt meinen verwaschenen LAGWAGON-Kapu über, stampfe in den nächsten Laden, kaufe die EP und verschenke die Promo-Version an den in der Einleitung erwähnten Musikfan, um endlich dessen Bildungslücke zu schließen.

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