Silent Rain – Wrong Way To Salvation

Ein Gespenst aus meiner musikalischen Vergangenheit geht um. Power-Metal streunt durch dichte Wälder und schwebt über abgelegene Seen auf der Suche nach willigen Opfern. In Finnland ist es einmal mehr fündig geworden und konnte Marko Kämäräinen nebst seinen vier Kumpels von seinem Vorhaben überzeugen. Kurzer Hand wurde der bisherige Bandname DUNCE aufgegeben und in SILENTRAIN verändert. Doch so leise plätschert es nicht vom Himmel herab. Allerdings bleibt die Frage offen, ob man sich mit „Wrong Way To Salvation“ auf dem wahren Weg zur Erlösung befindet.

Was wurde ich früher nicht aufgrund meines Musikgeschmacks bemitleidet und ausgelacht. Ja, ich habe das gehört, was heute gerne als Power-Metal bezeichnet wird. Ich liebte und liebe immer noch „Keeper Of The Seven Keys“ von HELLOWEEN oder „Metal Heart“ von ACCEPT. Sowohl die Mainstream-Hörer schüttelten damals mit dem Kopf als auch die echt harten Metaller, die anstelle der von mir geschätzten Melodik die Aggressivität des Thrashs Marke ANTHRAX, METALLICA und SLAYER vorzogen. Punk war noch tot, Grunge noch nicht erfunden. Was als Jugendlicher also mein Image stark belastete, ficht einen erwachsenen Menschen kaum noch an. Heute kann ich selbstbewusst zu meiner Vergangenheit stehen. Insofern rufen SILENTRAIN bei mir Erinnerungen an früher wach, kommen jedoch knapp 20 Jahre zu spät und negieren meinen zwischenzeitlichen Emanzipationsprozess inklusive der Bewusstseinserweiterung. Was fange ich jetzt nur mit SILENTRAIN an?

Festzuhalten ist, dass die Jungs ihr Handwerk verstehen. Marko ist ein für dieses Genre wie erschaffener Sänger, der die klaren Töne mit großem Pathos ebenso trifft wie er aggressive, fast grunzige Passagen gekonnt umsetzen kann. Das Songwriting zielt auf Nachvollziehbarkeit. Ob es das mal rollende, mal stakkatohafte Riffing ist oder die melodischen Chöre, SILENTRAIN betreiben Systembefriedigung, wie sie seit den 80ern gefordert wird. Und damit das Ganze nicht allzu rückwärts gewandt wirkt, dürfen Keyboards (finde ich persönlich immer grenzwertig) für mehr Breite sorgen und die Drums den Songs mit der einen oder anderen Double-Bass-Attacke auch ordentlich den Staub wegpusten, nur um zum Schluss in die nicht fehlen dürfende Ballade zu münden. Das hört sich alles toll an, jedoch…

Die Reise ins eigene Ich ist vorbei, war schön, dafür bin ich dankbar. Doch ich bin mittlerweile viele andere Wege gegangen, die mir einen nostalgischen Blick erschweren – besonders auf lyrischer Ebene. Wenn man sich mit Wörterbüchern durch BAD RELIGIONs Texte gequält und einem KETTCARs Kryptologie große Interpretationskunst abgefordert hat, dann muten Zeilen wie „As day turns into night, the pain inside tries to take control“ oder „I feel I´m not alone in this room, evil thoughts confuse my head“ wie Kinder-Abzählreime an. Doch da die Geschmäcker zum Glück immer verschieden sind und hoffentlich auch bleiben, können Fans von melodischem Power-Metal (hat Metal sonst eigentlich keine Kraft??) getrost zugreifen. Meinen persönlichen Weg zur Erlösung gehe ich anders, allerdings mit Blickkontakt…und ich schaue gerne ab und zu einmal herüber.

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