Strung Out – Prototypes And Painkillers

Zur mentalen Vorbereitung auf dieses Album habe ich mir das Album „Trauma“ von BLOUNT angehört, einer mittlerweile nicht mehr existenten und im Laufe ihrer aktiven Zeit nicht unbedingt erfolgreichen Punk-Band auf Fearless Records. Der Grund für diese Vorgehensweise? BLOUNT waren die Vorband beim ersten Konzert, welches ich von STRUNG OUT besucht habe. Der Leser sei gewarnt: Das Folgende wird eher eine Märchenstunde als eine Plattenkritik.

Das Ganze muss so 1996 gewesen sein. Auf der Tour zu ihrem zweiten Album „Suburban Teenage Wasteland Blues“ machten die Kalifornier auch Halt im UJZ Peine. Drei Kumpel und ich nahmen die eine Stunde Fahrtzeit in Kauf und ebenso die Gewissheit, spät wieder zu Hause zu sein, obwohl am nächsten Tag Schule war. Wir fuhren sehr rechtzeitig los, sodass wir viel zu früh da waren. Die verbleibende Zeit wurde mit Alkohol überbrückt, ich als Fahrer blieb bei Cola. Allerdings ist einem Teilnehmer unserer Reisegruppe das Wartebier nicht bekommen. Pünktlich zum ersten Akkord von BLOUNT musste er sich übergeben, legte sich dann auf eine Bank, fiel in einen tiefen Schlaf und wachte erst nach Ende der Show wieder auf. Bevor wir zurückfuhren, schaffte er es allerdings, ein Tourplakat von MILLENCOLIN (59 TIMES THE PAIN als Support) abzuhängen. Es dekoriert heute noch den Proberaum unserer Band, obwohl mein Kumpel von damals längst nicht mehr dabei ist. Das von mir gekaufte Shirt, welches ich natürlich am nächsten Tag müde aber glücklich zur Schule trug, besitze ich auch noch, wenngleich ich es in der Öffentlichkeit nicht mehr anziehe. Es hat doch in den letzten dreizehn Jahren sehr gelitten.

2009 ist ein besonderes Jahr für mich, ein Wendepunkt. Denn mittlerweile gehe ich genau so viele Jahre nicht mehr zu Schule wie ich sie einst besucht habe. In einer fast erschreckenden Selbsterkenntnis werde ich darauf aufmerksam gemacht, wie lange diese Tage zurückliegen. Das Erfreuliche: STRUNG OUT gibt es immer noch. Die Band aus Simi Valley gehört seit dem Release ihres ersten richtigen Albums „Another Day In Paradise“ 1994 zu Fat Wreck und besetzten von Anfang an ihr eigene Nische. NOFX waren neben ihren Heroen BAD RELIGION auf Epitaph die Allzweckwaffe des Punk. LAGWAGON waren als erste auf Fat und noch ziemlich vertrackt. NO USE entdeckten langsam den Pop. PROPAGANDHI nörgelten damals schon. GOOD RIDDANCE bediente die Hardcore-Fraktion. FACE TO FACE blieben immer Geheimtipp. Und STRUNG OUT? STRUNG OUT vermittelten den Melody- und Skatecore-Kids unterschwellig genau die Musik, die sie eigentlich nicht hören wollten: Metal. Von jeher verstanden es STRUNG OUT, ihre metallischen Einflüsse mit einem Gespür für melodiösen Punk zu kombinieren ohne in geringster und abschätziger Weise das zu sein, was man heute Metalcore nennt. Dieser Begriff existierte Mitte der 90er noch nicht. Schon beim oben erwähnten Konzert versuchten sich die Kalifornier an „The Trooper“ von MAIDEN.

In all diesen Jahren, in denen man auch einer Band wie PULLEY um Scott Radinsky personell Starthilfe gegeben hat und man den unerwarteten Tod von Bassist Jim verkraften musste, ist eine Menge Material angefallen, was auf den regulären sechs Alben und zwei EPs nicht veröffentlicht wurde und teilweise heute nicht mehr verfügbar ist. Heutzutage Grund genug, die 25 Tracks auf einen Silberling zu pressen, um sie so allen Interessierten endlich zugänglich zu machen und ihnen das Suchen im Internet zu ersparen.

Dass es Gründe dafür gegeben hat, gewisse Songs nicht mit auf ein reguläres Album zu packen, ist selbstredend. Doch abgesehen davon bietet „Prototypes & Painkillers“ Komplettierungsfetischisten die Möglichkeit, ihren Backkatalog der Band zu vervollständigen; sei es mit stilsicher interpretierten Cover-Versionen von „I´m Not A Loser“ (DESCENDENTS) oder „Bark At The Moon“ (OZZY), Sampler-Beiträgen wie „Novacain“, „Klawsterfobia“ und „Your Worst Mistake“ (leider fehlt „No Voice Of Mine“ vom ersten „Rock Against Bush“ Sampler) oder der ungewöhnlich, aber guten Akkustik-Version von „Velvet Alley“. Ohne große Kritikpunkte: diese Kompilation hat ihre Existenzberechtigung und ist gut, im wahrsten Sinne des Wortes. Ästheten sei die Überlegung ans Herz gelegt, sich das Release auf Vinyl zuzulegen und die digitalen Gelüste mit dem beigelegten Download-Gutschein zu befriedigen, Einsteigern sei jedoch eher ein Album wie „Twisted By Design“ empfohlen.

Abschließend noch etwas zu meinem Kumpel. Beim nächsten Konzert zwei Jahre später, als STRUNG OUT in Göttingen als Vorband für NOFX auftraten, war er nüchtern bzw. so weit anwesend, dass er sich nicht schlafen legen musste. Und NOFX? Jaaa…die bringen dieses Jahr auch noch eine neue Scheibe raus. Und bis dahin begnügen wir uns mit der genialen Tour-Dokumentation „Backstage Passport“. Es kann ein gutes Punkrock-Jahr werden.

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