„Halt die Fresse und fahr!“ Wer sich so etwas von seinem Beifahrer anhören muss, möchte am liebsten ausholen und dem Nörgler in dieselbige hauen. Am meisten ärgert so ein Ausspruch den männlichen Fahrer, wenn der von einer Frau kommt, die doch dem Volksmund nach nicht Auto fahren kann und für die rückwärts einparken Sciencefiction ist. THE FLAIRS aus Vancouver sind solche Frauen, die sich gegenüber ihrer Umwelt gerne einmal im Ton vergreifen und gehörig Arschtritte verteilen.
Dawn, Jen, Gillian und deren Bruder Ryan, der wahrscheinlich über die Männerquote in die Band aufgenommen wurde und neben der Bedienung des Basses noch wahrscheinlicher auch der Fahrer des Tour-Vans ist, haben mit „Shut Up And Drive“ ein lupenreines Rockalbum eingespielt, welches in sich Elemente von 80erJahre-Metal, Punk und klassischen Rock vereinigt. AC/DC, GUNS´N´ROSES, NIRVANA, RAMONES, METALLICA heißen die männlichen Idole der Jugend, GIRSCHOOL, THE DONNAS und THE RUNAWAYS die weiblichen. CHEAP TRICK und David Lee Roth (Ex-VAN HALEN) hat man supported, in Indonesien vor 90.000 Leuten gespielt. Die Liste der Einflüsse und erster Erfolgsmeldungen ist also lang, zeigt aber umso deutlicher die Essenz, die am Ende bei THE FLAIRS herauskommt. Grundehrliche Rockmusik jenseits irgendeines Hypes, verdammt catchy und beladen mit Hooks, die geradlinig den jugendlichen Geist und das nicht zu verneinende Talent der Band zum Ausdruck bringen und den Zuhörer wünschen lassen, sofort in einem verrauchten Club (jaja, geht nicht mehr) vor der Bühne zu stehen. Diese Band macht richtig Spaß.
Inwieweit THE FLAIRS in Zukunft weitere Duftmarken im Rockzirkus hinterlassen werden, kann hier noch nicht abgesehen werden. Denn seien wir einmal ehrlich. Das Rockbiz ist eine Männerdomäne. Selten konnten sich Frauenstimmen durchsetzen, wenn sie sich abseits der Weichspülecke Marke SILBERMOND und JULI bewegten, nur um hier einige moderne Vertreter zu nennen. DORO PESCH, JANIS JOPLIN, TINA TURNER, BJÖRK oder BONNIE TYLER haben es in unterschiedlichen Rock-Genren in den vergangenen Dekaden vorgemacht. Ihre Stimmen haben einen unwiderstehlichen Wiedererkennungswert. In der Pop-Musik mag das anders aussehen, aber im Rock braucht man den gewissen Rotz, Drive, Spirit, Attitude (um es einmal auf Neudeutsch auszudrücken). Und hier bewegt sich Sängerin Dawn stellenweise auf dünnem Eise und muss weiter an sich arbeiten, um nicht in ein Ohr rein- und zum anderen ungehört wieder rauszufliegen.
Deutlich wird dies besonders an einem als Highlight gedachten Song, nämlich dem Cover „18 & Life“ von SKID ROW, 1989 erstmals auf deren genialem Debüt erschienen. Diesen Song über einen jugendlichen, in die Gosse geratenden Ausreißer muss allen Machovorwürfen zum Trotz ein Mann singen, sonst wirkt er lächerlich. SEBASTIAN BACH an den Vocals ist auch eine Macht gewesen. Ebenso wie die anderen männlichen Stimmen der von THE FLAIRS geliebten BANDS.
So, Schluss jetzt mit Geschlechterforschung. THE FLAIRS rocken. Das ist die Hauptsache. Und ich bin mir sicher, dass sie keine Frauenbeauftragte brauchen, die ihnen zu Auftritten und der verdienten Resonanz verhilft. Das schaffen die emanzipierten Mädels und ihr männliches Anhängsel ganz alleine. Bestimmt!