„Unter dem Deckmantel der Ignoranz“, so heißt die fünfte LP des Hardcore-Quintetts aus dem schwedischen Lulea; zumindest ins Deutsche übersetzt. Und dieser Titel passt perfekt zu meiner eigenen Biographie, denn obwohl es die Band schon seit Jahren gibt, ist sie bisher geflissentlich an mir vorbei gegangen. Ein Fehler.
Wer alt genug ist, der weiß, dass die angesagten Punk-Label in den Neunzigern Jahr für Jahr Kompilationen mit ihren Programmen für wenig Geld zu Werbezwecken veröffentlicht haben, etwa Epitaphs „Punk-O-Rama“, „Fat Music“ von Fat Wreck Chords und natürlich auch die „Cheap-Shots“-Reihe der schwedischen Sympathen von Burning Heart um Peter Ahlqvist. Doch in jenen Melodycore-Tagen interessierten eher Beiträge von MILLENCOLIN, NO FUN AT ALL und SATANIC SURFERS. Dabei gehörten namhafte Kracher wie 59 TIMES THE PAIN, REFUSED, BREACH oder eben RAISED FIST vom Anfang an zur Erstbesetzung des damals steil aufsteigenden Labels aus Örebro. Gut fünfzehn Jahre später holt mich meine Vergangenheit ein. Manche der oben aufgeführten Bands existieren gar nicht mehr. Dies gilt allerdings nicht für RAISED FIST. Also, Fäuste hoch!
Bereits die ersten Sekunden von „Veil Of Ignorance“ offenbaren mir zwei Dinge. Erstens wird mir sofort klar, warum ich RAISED FIST in meiner Jugend nicht mochte: an der Stimme von Alexander „Alle“ Hagman, an diesem heiseren und etwas dünnen Gekeife scheiden sich die Geister. Man kann sie sicherlich auch toll finden, man kann sich sicherlich auch an sie gewöhnen, aber sie ist sicherlich auch nicht alltagskompatibel. Zweitens betonen die ersten Sekunden einmal mehr, dass man als Rezensent – wenn man seine Aufgabe ernst nimmt – sich zuerst einen eigenen Zugang zur Musik erarbeiten sollte, bevor man sich vielleicht Fremdinterpretationen zu Gemüte führt. Dazu gehört auch das Lesen des Informationsmaterials der entsprechenden Promotions-Agentur. Sofort meine ich, eine gewisse Ähnlichkeit mit IN FLAMES ausgemacht zu haben. Zugegeben, ich führe diesen Vergleich öfter und gerne an, doch im falle RAISED FIST ist er zutreffend, schließlich wurde „Veil…“ von niemand anderen produziert als Daniel Bergstrand, der seit „Reroute to remain“ für IN FLAMES an den Reglern schraubt.
Der Rest ist schnell erzählt: RAISED FIST pressen drei Jahre nach „Sound of the Republic“ 14 neue Stücke auf CD, von denen die einen besser sind und die anderen…nja, sagen wir belangloser. Unterm Strich bleibt eine gekonnte Mischung aus aggressiven Old-School-Harcore- und melodisch-modernen Metal-Elementen, die lyrisch die Wut des Punks in sich trägt. Hierbei überzeugen mich vor allen Dingen die metallischen Stücke, etwa der stampfende Opener „Friends and Traitors“, das vielschichtige „Slipping into Coma“ und das schleppende „Wounds“ sowie das ähnlich gelagerte „My last Day“, wohingegen die kürzeren Hardcore-Nummer bei mir nicht hängen bleiben wollen.
„Veil…“ ist ein gutes Album, das die hart arbeitenden RAISED FIST endlich auf meine musikalische Landkarte hievt. Dazu gehört wohl auch eine Portion Anerkennung: schließlich musste Basser Josse mit dickem Arm ins Krankenhaus, nachdem er 18 Stunden am Stück am Aufnehmen war. Soviel Einsatz ist löblich, vielleicht hätte er aber zuvor die neuen Stücke besser üben sollen, dann wäre es sicherlich schneller gegangen 🙂