Ein Atlas ist nur in zweiter Linie ein kartographisches Nachschlagewerk, sondern zuerst der Name eines Titans aus der griechischen Mythologie, der von Zeus bestraft am westlichen Ende der (damals) bekannten Welt dafür Sorge zu leisten hatte, dass der Himmel Uranos nicht auf die Erde Gaia falle. Sollte er nun den Halt verlieren, könnte das immense Auswirkungen haben.
So einflussreich ist allerdings die kleine schwedische Combo ATLAS LOSING GRIP nicht, noch nicht, doch schafft sie es, bei mir die mitunter verloren gegangene Hoffnung zurückzubringen, die Zeit könnte zurückgedreht werden und würde dann für immer im Jahre 1995 auf dem Höhepunkt der Punkrock-Mania verharren.
Die Mystifizierung der eigenen musikalischen Jugend ist sicherlich etwas Typisches und letztendlich Nachvollziehbares: Den 50ern ihren Rock´n´Roll, den 60ern ihren Beat, den 70ern ihre Disco, den 80ern ihren Metal, den Neunzigern ihren California-Punkrock. Jaja, ganz verkürzt, rudimentär und oberflächlich, ich weiß. Doch die zweite Punkrockwelle mit Bands wie BAD RELIGION, NOFX, PENNYWISE, GREEN DAY und OFFSPRING hat manch einen heutigen Dreißigjährigen geprägt, und daran ist auch die kleine europäische Punk-Enklave Schweden mit Bands wie MILLENCOLIN, NO FUN AT ALL und SATANIC SURFERS nicht ganz unschuldig dran.
Warum ich dies hier betone? Nun, hätte ich schon vor zwei Jahren das Debüt von ATLAS LOSING GRIP in die Hände bekommen, ich hätte es als gut gemeinten und selbstsicher beschrittenen, aber vergeblichen Weg zurück in die Vergangenheit angesehen. Mit der jetzt vorliegenden EP ist das Ziel jedoch erreicht, und daran ist vor allen Dingen der neu eingestiegene Rodrigo Alfaro, ehemals Schlagzeuger und Sänger der SATANIC SURFERS, verantwortlich, der mit seiner unvergleichlichen Melodik und Harmonieführung den fünf Stücken auf „Watching the Horizon“ den Silberstreifen verpasst.
Fünfmal bester melodischer Punkrock, der das Erbe einer einst glorreichen Zeit in sich trägt und – ohne ALG zu nahe treten zu wollen – ein stilistischer Nachfolger des Spätwerks der SURFERS ist. Jungs, bleibt standhaft und rettet mein Weltbild und seht zu, dass in Schnelle ein ganzes Album vorliegt. Ich erwarte es sehnsüchtig.