Jolly Roger ist mehr oder weniger eine Sammelbezeichnung für Piraten-Flaggen, die anfänglich eher rot als schwarz waren. Dabei soll sich Jolly Roger aus dem französischen jolie rouge (schönes Rot) ableiten, so jedenfalls ein Erklärungsmuster. Nun hat sich die Düsseldorfer Punkrock-Combo NOTAUFNAHME diesen neuen Namen gegeben. Das kann ja heiter werden.
Ein Bekenntnis vorweg: ich kann sehr selten etwas mit deutschsprachigem Punkrock anfangen. Grund hierfür sind unterschiedliche Problemfelder, die manchmal auch gekoppelt auftreten: musikalische Belanglosigkeit offenbart im simplen Akkord-Geschrabbel, mitunter fragwürdige Texte linksradikaler oder alkoholgeschwängerter Prägung dargeboten im heiseren Gegröle und zum Teil vollkommen blöde Bandnamen (s.o.). Auf JOLLY ROGER trifft dies leider mit Einschränkungen auch zu.
Bleiben wir beim letzten Punkt: nach Piraten-Metal nun Piratenpunk? Was haben sich die Jungs dabei nur gedacht? Zuviel RUNNING WILD gehört? Die haben damit in den 80ern angefangen, was sowohl eine Erklärung als auch eine Entschuldigung ist, doch muss das heutzutage auch noch gemacht werden? Nach einem kitschigen Meeresrauschen startet der Opener „Jolly Roger“ mit einem Licking, das wir von der Besatzung unter Kapitän Rock´n´Rolf erwarten, bis schließlich der lyrischen Peinlichkeit freien Lauf gelassen wird: „Wir sind frei, oooho, unsere Flagge weht im Wind, denn wir sind frei, oooho, weil wir Piraten sind!“ Stimmlich erinnert das ganze dabei auch noch an Campino zu „Auf dem Kreuzzug ins Glück“-Zeiten anno 1990, was nicht nur aufgrund der gemeinsamen Heimatstadt den Vergleich mit den TOTEN HOSEN zusätzlich beflügelt.
Nach diesem Fauxpas habe ich als Punkrock-Liebhaber kaum noch Bock, mir den Rest anzuhören; gemessen an der Fülle von Musik, mit der ich bombardiert werde, entscheiden oft die ersten 30 Sekunden. Insofern ist das Urteil gefällt. Doch vielleicht wäre das zu gemein…denn die übrigen sieben Stücke mögen durchaus zu gefallen. Nein, sie begeistern nicht, dazu sind sie letztendlich zu einfach gestrickt, aber doch, sie gefallen. Die Produktion ist ordentlich und rummst, auch wenn der Trend im Punkrock heutzutage eher dahin geht, die Gitarren mit weniger Gain auszustatten. Das Gegröle bleibt ein Markenzeichen, kann man wohl nicht ändern. Doch textlich haben die Düsseldorfer mehr zu bieten als die alberne Piraterie. So dominieren auf dem Rest der Scheibe Gedanken zum Verhalten des Einzelnen in der Gesellschaft („Ich will weg“, „All die Jahre“), aber auch eine Stellungnahme zum Kriegseinsatz ist zu finden („Wehrlos“).
Wollen JOLLY ROGHER den Durchbruch, müssen sie musikalisch weiter an sich arbeiten, um auffälliger zu werden. Ein erstes Lebenszeichen ist gegeben und sicherlich wird das vielen gefallen. Mir allerdings geht dieses Piraten-Ding mächtig auf den Zeiger, sodass ich noch recht skeptisch bin.