Amerika steht vor dem Wandel. Die Ära Bush Junior geht zu Ende. Und es besteht die Möglichkeit, dass eine Frau oder ein Afroamerikaner Präsident der mächtigsten Nation dieses Planeten wird. Damit könnte eine von zwei emanzipatorischen Forderungen liberaler und linker Gruppierungen in Erfüllung gehen. Für ANTI-FLAG Grund genug, noch einmal gehörig nachzutreten.
Im Jahre 2000 gewann George W. Bush die amerikanische Präsidentschaftswahl gegen Al Gore, den vorherigen Vize-Präsidenten der Clinton-Regierung. Sonnyboy Bill selbst durfte nach zwei Legislaturperioden nicht mehr antreten und hatte selbst 1992 dafür gesorgt, dass sein Vorgänger – George Bush Senior – nur eine zum Regieren bekam. Ein Jahr später veröffentlichte eine bis dahin unbedeutende Punkrock-Combo aus Pittsburgh ihr viertes Album „Underground Network“ beim Szene-Riesen Fat Wreck Chords. Das Debüt „Die For Your Government“ erschien 1996 noch auf New Red Archives, die zwei folgenden Alben „Your System Doesn´t Work For You“ und „A New Kind Of Army“ veröffentlichte das eigene Label AF-Records.
Dann kam der 11. September, Kriege in Afghanistan und Irak. Je brisanter und explosiver die weltweite Situation im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends wurde, desto populärer wurden ANTI-FLAG, die in ihrem Präsidenten eine Personifizierung all dessen sahen und sehen, wogegen sie kämpfen: Militarismus, Totalitarismus, Globalisierung, Naturverschmutzung, moderne Formen der Sklaverei, Todesstrafe und andere soziale Diskrepanzen. Allein der Bandname verdeutlicht die Antihaltung. Vor der nächsten Wahl veröffentlichten AF 2003 „The Terror State“; eingepackt in einen Pappschuber, auf dessen Innenseite ein Konterfei von George W. mit dem Zusatz „ONE TERM PRESIDENT“ gedruckt war. Dazu gaben AF Anweisungen, dass man damit Plakate herstellen solle und wie diese verbreitet werden könnten. Letztendlich sind sie – ebenso wie die Aktion PUNKVOTER, von Fat Mike ins Leben gerufen – gescheitert. Bush gewann gegen seinen demokratischen Herausforderer Kerry.
Am Erfolg von ANTI-FLAG hat das nicht gerüttelt, vielleicht wurde er sogar dadurch begünstigt. Denn beim nächsten Album „For Blood And Empire“ gingen AF einen Schritt, den ihnen viele nicht zugetraut hätten: Sie wechselten zum Major RCA, einem Label der Sony-BMG. Doch während einige Radikalisten ihnen Szene-Verrat und den obligatorischen Pakt mit dem Teufel vorwarfen, haben AF bis heute stets an ihren Aussagen festgehalten. Provokativ, plakativ, stets auf den Punkt. Und hier setzt die Kritik ein. AF sagen nämlich nie etwas, was ihre Zuhörer nicht schon längst wüssten. Sie neigen zu Wiederholungen und tragen damit die bekannten Eulen nach Athen. „I must again sing my dissent“ lautet der Beginn des Songs „Vices“ vom neuen Album. Das versteht auch der letzte Globalisierungsgegner mit rudimentären Englischkenntnissen aus der hintersten Ecke von Kasachstan.
AF stehen eventuell vor einer großen Sinnkrise. Denn sie müssen die Weichen für eine Zeit nach dem Idioten aus Texas stellen. Erneut könnte auf einen Bush ein(e) Clinton folgen, dessen Mann einst eine orale Befriedigung durch eine Praktikantin nicht als sexuelle Beziehung definiert hat. Die ganze Welt hat gelacht. Vielleicht sollten AF angesichts solcher politischer Eskapaden auch einmal lachen und dies zum Inhalt machen, wenn sie sich in ihren Texten nicht ganz von der amerikanischen Politik verabschieden wollen. Jedoch würde es ihnen sicherlich auch gut tun, wenn sie persönlicher und metaphorischer würden. Man kann über so viele Dinge singen, die nicht Politik und trotzdem nicht banal sein müssen.
Ach ja, zur Musik. Sollte ja eine Plattenkritik werden. Habe ich ganz vergessen. Hat sich nicht so viel verändert. AF bleiben ihrem Stil, der schon immer mehr nach Englang 1977 als nach Kalifornien 1994 geklungen hat, treu. Dennoch versuchen sie auch hier und da etwas Neues: Klaviereinsätze, Kinderchor, Streicher. Die Gitarren braten nicht die ganze Zeit durch, sondern werden auch einmal gerne dezent in den Hintergrund gemischt. Am Gesamteindruck ändert das jedoch kaum etwas. Wer der Musik des Quartetts bisher etwas abgewinnen konnte, wird auch vom neuen Output nicht enttäuscht sein. Umgekehrt überzeugt es aber auch keine bisherigen Kritiker. Georgie wird es bestimmt nicht in der Air Force One hören.