Nofx – Backstage Passport

Die Idee ist so einfach wie die Umsetzung schwierig. Angeödet von den immer gleich ablaufenden Shows und den immer gleichen Kids zwischen Orange County und New York, London und Berlin entschließt man sich dazu, dort zu touren, wo man noch nie zuvor getourt ist, um das Gefühl von vor 20 Jahren zurückzuerlangen, als man noch nicht wusste, was einen erwartet. Chaos, Exotik, Gefahr und eine ganze Menge Spaß liegt in der Luft.

Mit „Backstage Passport“ legen NOFX auf der ersten DVD eine Dokumentation in acht Teilen vor, die ursprünglich auf Fuse TV in den Staaten ausgestrahlt wurde. Darüber hinaus gibt es auf der zweiten Scheibe das für das Fernsehformat gekürzte Material noch dazu. Die natürlich englische Sprachausgabe ist mit ebenso englischen (und wer es braucht: japanischen) Untertiteln ausgestattet, jedoch kann man bei fortgeschrittenen Sprachkenntnissen auch darauf verzichten.

Um es hier noch einmal deutlich zu sagen: „Backstage Passport“ ist eine reine Dokumentation, die den Live-Auftritt ausblendet und zeigt, was vorher und hinterher passiert und wie es überhaupt dazu gekommen ist. Insofern wäre die Band fast individuell austauschbar und man muss auch nicht wirklich NOFX-Sympathisant sein, um hier auf eine interessante digitale Punkrock-Weltreise zu gehen, doch wer die Band wie ich seit seiner frühen Jugend ins Herz geschlossen hat, für den beinhaltet dieses DVD-Set mehr als pure Unterhaltung.

„Backstage Passport“ erzählt von mittlerweile 40jährigen Normalos, die mehr oder weniger zufällig zu einer der bekanntesten Punkrock-Bands geworden sind und sich hier inmitten den alltäglichen Sorgen zwischen Familie und Bausparvertrag eine Auszeit, ein Ausbrechen, einen letzten Hauch von ungestümer Jugend gönnen. Das ist in erster Linie lustig, schließlich ist man mit NOFX unterwegs, doch das Überzeugende sind die dezenten Töne dazwischen, welche die vier Personen von ihrem ungewollten Götterthron herunterholen und menschlich, ja fast schon zerbrechlich erscheinen lassen. Trotz aller Eigenwilligkeit: Mike Burkett, Eric Melvin, Erik Sandin und Aaron Abeyta sind keine Rockstars, waren es nie, wollten es nie sein und werden es hoffentlich nicht noch.

Der Betrachter bekommt das Gefühl vermittelt, auf dieser Reise selbst mit dabei zu sein. Er vollzieht alles nach. Er teilt die imposanten Blicke von der Christusstatue in Rio und der Großen Mauer nördlich von Peking. Er schlendert mit Hefe durch Singapur auf der Suche nach Nahrung und legt in Haifa eine Breakdance-Einlage hin. Er geht mit Melvin auf Bali Flyer für die eigene Show verteilen. Er steht mit Manager Kent Jamieson im Nachtzug von St. Petersburg nach Moskau volltrunken an der Bar und ist am nächsten Morgen verkatert und peinlich berührt und ärgert sich überall über inkompetente und sich selbst beweihräuchernde Promoter. Er flüchtet mit Limo und Carlos und der restlichen Stage-Crew vor der Polizei in Lima. Er besucht russische Saunen und japanische Domina-Studios. Er hält mit Smelly die Hand eines Jungen aus Soweto. Und er ist wankelmütig wie Fat Mike, der in Singapur den grünen Drachen reitet, der sich in Taiwan eines ziemlich aufdringlichen weiblichen Fans erwehrt, der in Lima allein mit einer Akustikgitarre in der Hotellobby betrogene Fans trösten muss, der in Jerusalem an der Klagemauer betet und dabei doch seine religiöse jüdische Seele findet, der unentwegt an seine Tochter Darla und seine Abwesenheit an ihrem Geburtstag denken muss und der zu später Stunde in Moskau über den Roten Platz läuft und bekennt: „Wir sind nicht die beste, aber die glücklichste Band der Welt.“ Mit leichtem Tränenansatz in den Augen kann man da fast schon neidisch werden, denn er hat in diesem Moment Recht.

Zum Abschluss noch meine absolute Lieblingsszene. Zwei schwarze Südafrikaner besuchen als einzige ihrer Hautfarbe auf Einladung der Band ein Konzert in Kapstadt und grölen zusammen mit der ehemals aparten weißen Meute „Kill All The White Man“! Mehr situative Tragikomödie geht nicht.

Zum Vorgeschmack: Das neue Album „Coaster“ erscheint am 24.04. Die Vinyl-Version wird „Frisbee“ heißen und – wie bei Fat mittlerweile üblich – einen Download-Gutschein beinhalten. Bis dahin…

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