Propagandhi – Supporting Caste

„In Zeiten, in denen es zum guten Ton gehört, unpolitisch und angepasst zu sein, streuen PROPAGANDHI Salz in die Wunden derer, die in ihrer Ignoranz die Realität verachten! Das ist der wahre Soundtrack zum endgültigen Untergang der westlichen Dekadenz! PROPAGANDHI waren niemals wichtiger als heute!“ (Mille/KREATOR) Was für eine Aussage!

Es gibt etwas, was man PROPAGANDHI nicht vorwerfen kann, nämlich dass sie inkonsequent wären. Und so hat es auch einen triftigen Grund, dass das fünfte Album „Supporting Caste“ der kanadischen Politrocker vom ultralinken Flügel nicht wie gewohnt bei „Fat“ erscheint, sondern – zumindest hierzulande – beim Hamburger Sympathieträger „Grand Hotel van Cleef“. Gratulation an die Herren Uhlmann, Bustorff und Wiebusch.

Frontmann Chris Hannah und sein einstiger Förderer Fat Mike sind heutzutage geschiedene Leute und dürften sich nicht mehr viel zu sagen haben. Grund sind nicht musikalische, wohl aber politische Differenzen. Trotz aller Glorifizierung der alten Punkrocktage ist Mike Burkett ein Pragmatiker, der mit seinem Label „Fat Wreck Chords“ Spaßkapitalismus in einer ernsten Welt auslebt. Vor der Wiederwahl des fragwürdigen George W. Bush 2004 gründete Fat Mike die Initiative „Punkvoter“, die junge, unentschlossene Amerikaner dazu ermutigen sollte, die Demokraten um den Kandidaten John Kerry zu wählen, wenn man Bush loswerden wolle. Im Zweiparteien-Land USA die einzige Möglichkeit. Wie uns die Geschichte erzählt, blieb dieses Engagement nutzlos.

Für PROPAGANDHI und Chris Hannah war diese Aktion jedoch die faustische Wette mit Mephisto. Denn die Demokraten sind letztendlich auch nur den Planeten ausbeutende Großkapitalisten, die sich dahingehend höchstens besser in der Öffentlichkeit verkaufen als die Republikaner, die einst von Abraham Lincoln mitgegründet wurden. PROPAGANDHI ließen es sich nicht nehmen, ihren Label-Boss 2005 im Booklet von „Potemkin City Limits“ zu verhöhnen, Fat Mike antwortete unter anderem 2006 in der VISIONS Nr. 159, dass er Hannah für den deprimiertesten Menschen der Welt halte, da dieser immer so radikal politische Bücher lese und er ihm nur noch zwei Jahre zum leben gebe, bis dieser sich aus Verzweiflung umbringe. Wir schreiben 2009 und zum Glück lebt der Nörgler noch.

„Supporting Caste“ ist einmal mehr eher ein politisches Statement als eine musikalische Revolution. Animal-Friendly. Anti-Fascist. Gay-Positive. Pro-Feminist. Jedoch, die Melodycore-Tage des Debüts „How To Clean Everything“ sind unlängst vorbei. Stattdessen ist das mittlerweile vom Trio zum Quartett angewachsene Ensemble in der Umsetzung seiner musikalischen Ideen immer komplexer und für Punkrock-Verhältnisse (wenn es das noch ist) sperriger geworden, ohne jedoch vollkommen den Bodenkontakt zu verlieren. PROPAGANDHI sind immer noch PROPAGANDHI, auch auf Werk Nummer 5. Allerdings wird es immer schwieriger, einzelne Stücke aus dem Gesamtwerk hervorzuheben – jedenfalls beim ersten Hördurchgang. Nach und nach kristallisieren sich die Stücke heraus, für die man PROPAGANDHI ungeachtet des politischen Hintergrundes so schätzt; etwa den brachialen Opener „Night Letters“, das aus zwei Teilen bestehende Titelstück oder das punkige „Potemkin City Limits“. Insofern gibt es noch etwas zweites, was man den Kanadiern nicht vorwerfen kann, nämlich dass sie schlechte Musiker und Songwriter wären.

Dies wurde im Jahr 2006 bestätigt, als die Band mit dem Song „A Speculative Fiction“ vom Album „Potemkin City Limits“ für den ECHO (Kategorie Songwriting) nominiert wurde und ihn zur Überraschung aller gewann. Das Statement der Band dazu: „Auszeichnungen sind wie Hämorrhoiden – irgendwann bekommt jeder Arsch einen.“ Das Preisgeld wurde prompt an das pro-demokratische und anti-imperialistische Projekt „Canada-Haiti Action Network“ und „The Welcome Place“, eine Flüchtlingshilfseinrichtung in ihrer Heimatstadt Winnipeg, gespendet. PROPAGANDHI eben. Bei so viel sozialem Engagement fragt man sich, warum
Chris Hannah 2007 von einem Magazin der „Canadian National History Society“ zu einem der schlimmsten Kanadier aller Zeiten gewählt wurde?

Auch gut 15 Jahre nach meiner ersten Begegnung mit PROPAGANDHI wissen Chris Hannah und Co. mich musikalisch zu fesseln, auch wenn ich ihre radikalen politischen Ansichten nicht teile und ich da eher der Mike-Typ bin. Allerdings bleiben sie damit authentisch, was man von geistigen Brüdern wie ANTI-FLAG oder RISE AGAINST durch ihren Gang zum Major-Label nicht unbedingt behaupten kann.

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