Silent Decay – The Pain Of Creation

OK, OK. Ich gebe es ja zu. Ich bin ein musikalischer Phasenhörer. Ich liebe die modernen Emoscreamoscheiße. Doch dann krame ich wieder meine alten Punk-Sachen raus und erfreue mich an Jugenderinnerungen, nur um danach deutschsprachiges Kopfkino zu verschlingen oder schwedischen Schweinerock. Anschließend würdige ich meine Metal- und Hardrock-Wurzeln und renne mit der Luftgitarre durch die Wohnung. Hauptsache, es rockt! So. Jetzt habe ich mich geoutet.
Nachdem ich so ungefähr im Juni den ganzen IN FLAMES Backkatalog begeistert durch meine Boxen gejagt hatte und auch die neue SHADOWS FALL nach Matzes Kritik mit einem „Yepp!“ für großartig befand, war ich bis vor kurzem der Ansicht, dass meine alljährliche Metal-Phase durch sei. Denkste, hier kommen SILENT DECAY mit ihrem zweiten Release, gemixt und gemastert von Hermann Frank (ehemals Klampfer bei Deutschlands Vorzeige-Metallern der 1980er: ACCEPT), verpackt im wunderbaren Artwork von Meran Karanitant (SIX FEET UNDER, CHMAIRA). Abgesehen davon ist es eine erfreuliche Randnotiz, dass SILENT DECAY nicht aus amerikanischen Metropolen wie New York oder L.A. bzw. aus skandinavischen Schneehaufen kommen, sondern aus dem größten Dorf der Welt: München.
Abseits jeden Schubladendenkens sehen sich die Bayern fest im Metal verankert, haben natürlich beizeiten alle Genregrößen rauf- und runtergehört und tief in ihre Seelen eingeritzt. Sollen doch andere die verschiedenen Bestandteile der Eisen verarbeitenden Musik herausfiltern. Und demzufolge hat das Quintett einen hochwertigen Stahl gegossen und ihn anschließend mehrfach gewalzt, sodass eine vielschichtige Qualität entsteht, aus der man Gitterstäbe für die Gefängniszellen der gefesselten Zuhörer produziert.
Das Album beginnt mit einigen seichten Takten, danach startet der Eröffnungstanz ‚Keep It Real’ mit einem brachialen Getöse durch und wechselt beim einsetzenden Gesang in einen Nacken schmerzenden Banger, bis alle Lichter für einen derart melodischen Chorus aufflammen, den man unwillkürlich mitschreien muss. Das sich schon hier andeutende Wechselspiel zwischen Aggression und Milde driftet aber nicht in Metalcore-Gefilde ab, sondern zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie moderner Metal im 21. Jahrhundert zu klingen hat. Dieser erste Höreindruck wird von den folgenden Stücken ohne die Möglichkeit eines Einspruches untermauert: ‚Good As Drink Is’ entpuppt sich dabei sogar als Aufforderung zum Pogen, wohingegen ‚Of Good And Bad’ in seiner Kernaussage ein Rock-Schaf im Metal-Gewand ist. Mit ‚Believe Vs. Experience’ und ‚Strong Like This’ gibt es dann auch noch die Semi- und die Vollversion einer Ballade, die meines Erachtens – andere sehen das auch anders – zu einem perfekten Stahlwerk dazugehört. Wunderbare Sache das.
Dennoch sei abseits dieser ganzen Lobhudelei nicht verschwiegen, dass sich bei mir der Eindruck eingeschlichen hat, dass die Produktion an manchen Stellen etwas matschig wirkt. Hier hätten die einzelnen Instrumente, besonders die Rhythmusgitarren, stärker voneinander herausgearbeitet werden können, was zu einem präziseren Sound geführt hätte. Darüber hinaus fehlt es Sänger Tobi bei längeren aggressiven Phasen an Ausdauer und Ausdrucksstärke, wohingegen einige melodische Gesangparts neben dem Ton sind. Das hätte man bei einem professionellen Kontrollhören bemerken müssen. Aber, mein Gott, wenn man etwas zum Meckern sucht, findet man auch etwas. Erfreuen wir uns an einem großartigen Metal-Album aus heimischen Landen. Daumen hoch und ab dafür!

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