Have Heart – 10.17.09

Man versuche einfach, es sich vorzustellen: eine Band spielt ihr letztes Konzert, der Club Lido ist mit über 2000 Leuten gefüllt, als „Anheizer“ haben Bane, Cruel Hand und In My Eyes gespielt, die Masse wartet nur noch auf diesen einen Auftritt. Die Bühne ist nur unwesentlich höher als der Publikumsbereich, man steht sich eigentlich eher von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Dann startet die Band mit einem langsamen Intro, jeder einzelne Zuschauer scheint zu versuchen, auf die Bühne zu gelangen. Als dann die ersten Wortfetzen vom Opener „Hard bark on the family tree“ erschallen, explodiert der Laden…

…natürlich nur metaphorisch! Wer einmal eine Hardcore-Show erlebt hat, in der Band und Publikum zu einer Einheit zusammenwachsen, der weiß, wie sich das anfühlt, was für eine Faszination das auslösen kann, wie elektrisierend so ein Moment sein kann. HAVE HEART aus Boston werden sich definitiv ein Leben lang an ihre Abschluss-Show erinnern können! Vom ersten Augenblick an ist das Publikum begeistert, euphorisch, fast schon frenetisch. Permanent befinden sich mindestens 2-3 Stagediver und Crowdsurfer in den ersten Reihen, der gesamte Saal brüllt jede einzelne Silbe der Texte mit, alles versucht, so dicht wie nur irgend möglich an das Geschehen zu gelangen, sodass die anwesende Polizei nach dem ersten Song und einem kurzen, klärenden Gespräch mit Frontmann Patrick Flynn den Rückzug antritt. „Man sei nicht hergekommen, um sich gegenseitig umzubringen, auch wenn das für Aussenstehende vielleicht anfänglich den Eindruck erwecken mag“, erklärt dieser. „Vielmehr ist man hier, um gemeinsam eine gute Zeit zu haben und einen ganz besonderen Moment zu teilen.“ Nichtsdestotrotz weist er ab diesem Zeitpunkt mehrfach darauf hin, dass alle gegenseitig auf sich aufpassen sollen und sich gegenseitig respektieren sollen! Nicht ganz zu unrecht, wenn man sich anschaut, was da so abgeht.

Über 56 Minuten, 21 Songs lang, wird dieser Zauber aufrechterhalten. Scheinbar kennt weder Band noch Publikum Erschöpfung, hier wird bis zur letzten Sekunde gemeinsam gefeiert, getanzt, gelebt und sich gegenseitig Emotionen entgegengebracht. Genau das ist es, was diese Live-Aufnahme (optimaler Weise als DVD, notfalls auch nur als Audio-CD oder Vinyl) ausmacht: das Benefizkonzert für ein Frauenhaus am 17. Oktober 2009 dürfte der emotionalste Moment der Band gewesen sein, und wer sich diese DVD anschaut, wird sich wünschen, dabei gewesen zu sein. Es ist sicherlich keine perfekte Bildqualität, die die sechs Kameras da einfangen, und der Ton ist mit Sicherheit auch nicht als mustergültige Lösung einer Liveaufnahme zu betrachten. Aber das wirkt alles nebensächlich, wenn man sich anschaut, was die Band in den Menschen auslöst, vor denen sie ihr Innerstes offenbaren.

Wer traditionellen Hardcore der Marke Bane, Verse oder HAVE HEART mag, für den ist diese DVD eine Pflichtanschaffung! Einfach nur grandios, ich beneide jeden einzelnen, der hier live dabei gewesen ist (auch wenn ich nicht unbedingt in der ersten Reihe gestanden haben wollen würde)…

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