Hat sich eigentlich mal jemand die Mühe gemacht und nachgedacht, wer denn nun der Erste war? Der Erste, der es wagte, seine bekannte Umgebung zu verlassen, um sich allein dem Neuen zu stellen? Stellenbeschreibung: Suchen Punkrocker mit eingängiger Stimme und Akustik-Gitarre, der eigene Stücke oder solche seiner Band balladesk vorträgt. Bewerbungen gingen ein: Joey Cape (LAG WAGON), Tony Sly (NO USE), Chuck Ragan sowie Chris Wollard (beide HWM), Frank Turner (MILLION DEAD), Dave Haust (THE LOVED ONES) und andere. Doch wieder einmal waren SIE Vorreiter: BAD RELIGION. Kenner wissen, dass seit jeher die BR-Songs auf der guten alten Schrammel-Gitarre entstehen…und meines Wissens ist die erste Soloscheibe „Americal Lesion“ von Greg Graffin aus dem Jahre ´97 die erste Singer-Songwriter-Punkrock-Platte.
In diese illustre Runde reiht sich nun Ex-TUESDAY-Sänger Dan Andriano ein, hauptberuflich Basser beim ALKALINE TRIO. Dass Andriano allerdings noch mehr musikalische Energie zu verteilen hat und durchaus umtriebig ist, zeigten zuletzt auch sein Engagement bei THE FALCON mit den Jungs von THE LAWRENCE ARMS sowie sein Beitrag zur Soloscheibe von Stephen Egerton (ALL / DESCENDENTS). Nun also sein Alleingang „Hurricane Season“ auf Asian Man Records – jenes Label, welches schon die ersten AK3-Platten veröffentlicht hat.
Dass der Name täuschend ist, dürfte im Vorfeld klar gewesen sein. Mit Wirbelsturm Irene hat das Werk natürlich nichts zu tun. Ohnehin ist Andriano bei AK3 doch eher für die ruhigeren und dezenteren Töne verantwortlich, während sein Pendant Matt Skiba die Hymnen beisteuert. Für all diejenigen, die sich beim Hören von AK3-Platten immer auf die Andriano-Nummern freuen (ich persönlich favorisiere ja die Skiba-Songs), bietet sich hier die Möglichkeit, die Essenz dessen zu bekommen. Sehr spartanisch intrumentiert, größtenteils akustisch inszeniert und nur sporadisch mit Klavierlinien und Schlagzeugeinsätzen unterstützt, musiziert sich Andriano mit seiner bassigen und gleichzeitig näselnden Stimme durch zehn melancholische Stücke, die sich stilistisch nicht weit vom Sound seiner Hauptband bewegen. Das belegt ein Vergleich mit den akustischen Bonusstücken auf der Deluxe-Edition von „This Addiction“ oder der neuen Kompilation „Damnesia“, die neuarrangierte Akustikversionen von AK3-Klassikern beinhaltet.
Innerhalb dieses Kosmos´ ist „Hurricane Season“ leider nicht der ganz große erwartete Wurf geworfen, wohl aber eine hörenswerter Beitrag. Letztendlich fehlt doch so etwas wie ein herausstechender Song. Dennoch: eine gute Singer-Songwriter-Platte ist die LP, die es auch auf Vinyl mit DL-Code gibt, allemal. Und Adriano-Fans kommen hier voll auf ihre Kosten.